Was wird mit dem Gini-Koeffizient berechnet?
Der Gini-Koeffizient ist ein Maß für die Gleichheit, beziehungsweise Ungleichheit der Verteilung von Einkommen in einer Gesellschaft. Ist er 0, wäre das Pro-Kopf-Einkommen in einer Gesellschaft gleich verteilt, ist er 1, gehörte das gesamte Einkommen einer einzigen Person. In der Realität liegt der Gini-Koeffizient zwischen 0 und 1. Ein Wert zwischen 0,2 und 0,35 spricht für eine relativ gleiche Verteilung, einer zwischen 0,5 und 0,7 für Ungleichheit.
Wie berechnet man den Gini-Koeffizienten?
Die Berechnung des Gini-Koeffizienten lässt sich am besten in einem Koordinatensystem darstellen. Auf der X-Achse ist der kumulative, also aufaddierte, Anteil der Bevölkerung abgebildet, von 0 bis 100 Prozent. Die Y-Achse zeigt den kumulativen Anteil am Haushaltseinkommen in Prozent, also ebenfalls von Null bis einhundert.
Die 45-Grad-Linie verbindet all die Punkte, an denen absolute Gleichheit herrscht, also beispielsweise 50 Prozent der Bevölkerung auch 50 Prozent des Einkommens besitzen.
Die Linie der totalen Ungleichheit dagegen bewegt sich entlang der X-Achse und schießt an ihrem Ende senkrecht in die Höhe. Sie stellt grafisch dar, dass 100 Prozent des Einkommens nur einer einzigen Person zufallen.
Innerhalb des Dreiecks, das aus diesen hypothetischen Linien entsteht, liegt die sogenannte Lorenz-Kurve. Sie verbindet all die Punkte, die real das Verhältnis von Bevölkerungsanteil und Einkommensanteil abbilden. Hier im Bild zeigt beispielsweise Punkt A, dass 20 Prozent der Bevölkerung 5 Prozent des Einkommens besitzen, und Punkt B, dass sich 60 Prozent des Einkommens auf 90 Prozent der Bevölkerung verteilen.
Man sieht schon: Je stärker die Lorenz-Kurve von der Linie der absoluten Gleichheit abweicht, desto ungleicher ist das Einkommen verteilt. Der Gini-Koeffizient ist der Anteil der Fläche zwischen Kurve und Linie am gesamten Dreieck. Je näher die Lorenz-Kurve an der Linie der absoluten Gleichheit ist, desto kleiner die Fläche und desto kleiner ist auch der Gini-Koeffizient.
Was hat der Gini-Koeffizient mit Gesundheit zu tun?
Die Hypothese der Einkommensungleichheit (income inequality hypothesis) besagt, dass eine ungerechte Verteilung von Einkommen in einer Gesellschaft Auswirkungen auf die Gesundheit aller hat. Ein Forscher*innenteam der TU Darmstadt um den Gesundheitsökonom Martin Karlsson hat die Hypothese 2010 in einer internationalen Studie überprüft.
Die theoretischen Überlegungen dahinter:
- Höhere Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung führt zu geringerem sozialen Kapital und damit zu größerem Misstrauen und weniger sozialer Interaktion, die wiederum zu geringerer Gesundheit führen.
- Der sozialer Zusammenhalt ist geringer, dadurch entstehen höhere Kriminalitäts- und Unfallraten.
- Ungleiche Gesellschaften sind häufig auch polarisierter, weshalb es weniger gemeinsame Ressourcen und weniger öffentliche Gesundheitsversorgung gibt.
Die Forscher*innen haben festgestellt, dass vor allem in Ländern mit hohem Einkommen die Wahrscheinlichkeit steigt, dass Menschen ihre Gesundheit als gut bewerten, je kleiner der Gini-Koeffizient ist. Andererseits bedeutet ein hoher Gini-Koeffizient eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen ihre Gesundheit negativ einschätzen.
Warum sprechen wir dennoch nicht von Kausalität?
Karlsson und seine Kolleg*innen sind nicht die einzigen, die Zusammenhänge zwischen dem Gini-Koeffizienten und der Gesundheit festgestellt haben. Allerdings gibt es auch Studien, die diesen Beleg nicht liefern oder sogar gegensätzliche Ergebnisse zeigen.
Auch John Wildman, der 2021 eine Studie veröffentlicht hat, in der er einen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Gini-Koeffizienten und Fall- und Sterberaten während der ersten Welle der Corona-Pandemie in OECD-Staaten festgestellt hat, sagt, dass man nicht von einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis sprechen kann.
Um eine klare Aussage zu treffen, fehle es an empirischer Evidenz. Außerdem, so die Forschenden, sind eine Reihe unklarer Variablen zwischen dem Gini-Koeffizienten und der Gesundheit, beispielsweise wie gut die öffentliche Gesundheitsversorgung ist.
Hinzu kommt, dass der Gini-Koeffizient an sich kein perfektes Messinstrument ist. Schließlich werden nur die Daten eingerechnet, die auch vorliegen. Menschen und Lebensverhältnisse, die nicht erhoben werden, beispielsweise Obdachlose oder Personen, die keiner regulären Arbeit nachgehen, sind nicht Teil der Statistik. Zudem sagt das Maß nichts über die Höhe des Einkommens aus. Ein niedriger Gini-Koeffizient bedeutet keine rosigen Verhältnisse, wenn die gleich verteilten Ressourcen nicht ausreichen.
Quellen
- VWL Basiswissen für Nicht-Ökonom_innen der Freien Universität Berlin: https://www.lai.fu-berlin.de/e-learning/projekte/vwl_basiswissen/Umverteilung/Gini_Koeffizient/index.html [11.05.2021]
- Karlsson, M., Nilsson, T., Hampus-Lyttkens, C., Leeson, G. (2010): Income inequality and health: Importance of a cross-country perspective, Social Science & Medicine, Volume 70, Issue 6, 2010, Pages 875-885, ISSN 0277-9536, https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2009.10.056.
- Wildman, J. (2021): COVID-19 and income inequality in OECD countries. Eur J Health Econ 22, 455–462 (2021). https://doi.org/10.1007/s10198-021-01266-4